thomas knüwer
innovativ ist anders
Der Spruch unten mag ja ganz witzig sein, aber solange solche “Ideen” wie wild retweetet werden, habe ich keinen Zweifel an der noch sehr lange währenden Leitmedialität des Fernsehens. Und das liegt nicht daran, daß öffentlich-rechtlicher Rundfunk oder Privatsender so ein unfassbar tolles Programm hinlegen würden. Sondern daran, daß sich die (dt.) Webszene lieber an televisionären Altmedien abarbeitet (wahlweise in Form von Satire oder Rant), statt mal was eigenes auf die Tischbeine zu stellen. Nee, bleib mal am Schreibtisch sitzen, Blogosphäre, ich mach schon auf. Oh, die re:publica XI steht vor der Tür.
Das Format wäre bestimmt einen Deutschen Webvideopreis wert. Bei Knüwer immerhin ein wenig Abwechslung, sieht der Mann doch in der Regel seine Aufgabe einzig darin, Zeitungsverlagen zu erzählen, was sie alles falschmachen. Natürlich völlig unabhängig davon hier zwei längere Absätze aus Emile Zolas Auftaktroman zu seinem zwanzigbändigen Rougon-Macquart-Zyklus. Das erste Buch spielt in den gesellschaftlichen und politischen Wirren des Übergangs zur Zweiten Republik und ist mir vor ein paar Tagen mal wieder in die Hände gefallen. Es heißt Das Glück der Familie Rougon.
Jede Partei hat ihre komischen und ihre schlechten Kerle. Antoine Macquart, von Neid und Hass verzehrt, von Rachegedanken gegen die gesamte menschlische Gesellschaft erfüllt, begrüßte die Republik wie eine glückliche Ära, in der es ihm erlaubt sein würde, seine Taschen aus dem Geldkasten des Nachbarn zu füllen und sogar den Nachbarn zu erwürgen, wenn dieser damit nicht einverstanden sein sollte. Sein Kaffeehausleben, die vielen Zeitungsartikel, die er gelesen, ohne sie zu verstehen, hatten einen fürchterlichen Schwätzer aus ihm gemacht, der die sonderbarsten politischen Ansichten der Welt zutage förderte. Man muß einmal in irgendeiner kleinen Schenke in der Provinz gehört haben, wie einer dieser Mißgünstigen, die schlecht verdauen, was sie lesen, hochtrabend daherredet, um eine Vorstellung davon zu gewinnen, zu welchem Grad böswilliger Dummheit Macquart gelangt war. Da er viel schwatzte, gedient hatte und selbstverständlich als ein schneidiger Mann galt, umringten ihn einfältige Leute und hörten ihm zu. Zwar war er kein Parteioberhaupt, doch hatte er eine kleine Gruppe von Arbeitern um sich zu sammeln gewußt, die seine neidische Wut für ehrlich überzeugte Entrüstung hielten.Seit den Februartagen glaubte er, ganz Plassans stehe ihm zu, und die höhnische Art, mit der er, wenn er durch die Straßen ging, die kleinen Geschäftsleute betrachtete, die erschrocken auf der Schwelle ihres Ladens standen, besagte unmißverständlich: Unsere Zeit ist jetzt gekommen, meine Schäfchen, und wir werden Euch fein tanzen lassen! Er war unglaublich frech geworden und spielte seine Rolle als Eroberer und Despot so gut, daß er nicht mehr bezahlte, was er im Café verzehrte, und daß der Besitzer, ein Schwachkopf, der bei seinem Augenrollen das Zittern bekam, niemals wagte, ihm eine Rechnung vorzulegen. Wie viele Täßchen Kaffee er zu jener Zeit trank, ließ sich gar nicht mehr berechnen. Manchmal lud er Freunde ein und schrie stundenlang, daß das Volk verhungere und daß die Reichen mit ihm teilen müßten. Er selber aber würde den Armen nicht einen Sou geschenkt haben.