spiegel

    alter vor schnödheit

    Nun also auch Sibylle Berg mit einem “früher war alles besser”-Text. Ein Abgesang auf die Intellektualität soll es wohl sein, als ob deren Stimme je viel gegolten hätte. Berg fällt dabei wohl, wie so viele, auf die allgegenwärtige Sichtbarkeit des Banalen herein. Meiner Meinung nach ein bloßes Filterversagen, gepaart mit einer gehörigen Portion Verklärung der Vergangenheit. Dabei endet ihr Text wie folgt:

    Das Königspaar der glänzenden neuen Welt ist nicht mehr Sartre und de Beauvoir, sondern Pitt und Jolie. Kinder, Häuser, Gestüte, unfassbarer Reichtum, so wollen wir sein, so müssen wir leben. Intellektuelle sind heute Verlierer, weil sie kein Geld verdienen. Sie haben keine Label an ihrer Kleidung, sie feiern nicht in St. Moritz, sie sind ohne jede Bedeutung für unsere Gesellschaft, also lächerlich.

    Ab und zu hört man einen wie Alexander Kluge bedächtig in eine Kamera atmen, man hört von Theaterstücken oder Philosophen, die keine Millionenauflagen erreichen, aber wozu? Was nicht verkauft, hat keinen Wert. Der Erfolg gibt ihnen recht, das ist eines der blödesten Sprichworte unserer Zeit, die hoffentlich bald zu einem universellen Kollaps führen wird, zu einer großen Pulverisierung von allem, was wir kennen, um der Verblödung ein erfreuliches Ende zu bescheren.

    Vorweg gesagt: Bergs Der Mann schläft ist eines der besten Bücher, welches ich in den letzten Jahren das Vergnügen zu lesen hatte. Und auch ihre Kolumne bei Spiegel Online gefällt mir in der Regel außerordentlich gut. Aber dieser Text hier ist nun wirklich ein Griff ins Allgemeinheitsklo, abgespült mit elitärer Ignoranzigkeit.

    Was waren das für tolle zu Zeiten, als es noch keine Regenbogenpresse, noch kein RTL2 und auch kein Internet gab, in das sogar jeder reinschreiben darf, der sich dazu berufen fühlt? Man klickt arglos einen Link, zappt ein wenig durch die zweistelligen TV-Programme und schon bekommt man alle Schlechtigkeit der Welt drastplastisch vor Augen geführt. Nein, da hatte man es früher einfach einfacher. Spiegel, Zeit und Süddeutsche gelesen, dabei brav den eigenen Erwartungshorizont in höchstens homöopathischen Dosen überstrapazieren - fertig war die Strebergartenlaube Marke Eigenmuff.

    Aus den Augen, aus dem Sinn: die andere Seite der “Ich mach mir die Welt, widdewidde wie sie mir gefällt”-Medaille. I like. Wie sonst ist es zu erklären, daß man den Aushängeschildbürgern Sartre und de Beauvoir (Königspah!, sic!) außerhalb eines erweitert existenziellen Dunstkreisels globale Relevanz zugesteht? In Deutschland schwärmten die Massen zu dieser Zeit jedenfalls wohl eher für Marika Kilius und Hans-Jürgen Bäumler wie heute für Brangelina. Wenn man schon einen Vergleich bemühen will. Mit dieser Logik wäre der Staat sozial gerechter, würde man diese ganzen unansehnlichen Penner aus den Fußgängerzonen der Innenstädte verbannen und an die Peripherie verfrachten, wo sie nicht so auffallen. Jedenfalls nicht den richtigen Leuten.

    Intellektuelle waren nie, zu keiner Zeit die Gewinner; heute macht sich nur niemand mehr die Mühe, Ihnen Trostpreise zu verleihen. Heinrich Zschokke und August von Kotzebue beispielsweise waren die Kassenschlager um das Jahr 1800, nicht die später so nachrühmlichen Goethe und Schiller. Die beiden hätten sich ohne das Mäzenatentum am Weimarer Hof wahrscheinlich zu Spitzwegs Der arme Poet zum Sterben in die Dachkammer verkriechen können. Aber die Berg tut so, als hätte zu dieser Zeit jeder hinterwäldlerische Bauernflegel Kants Kritik der reinen Vernunft auf dem Nachttisch liegen gehabt. Ein Buch übrigens, daß die Neue Zürcher Zeitung bei Ersterscheinung im Jahre 1781 in Grund und Boden verrissen hat.

    Ich will Tendenzen sicher nicht verharmlosen. Es gibt bestimmt einen Grund, warum die reiche Obersicht jahrhundertelang im Verborgenen gesaust und gebraust hat, während sie es heutzutage ungeniert öffentlich ausleben kann und dafür auch noch bewundert wird. Aber eben nur von Teilen der Gesellschaft. Denn die Unterschicht hat auch schon früher dem Herrn Doktor nicht wegen seiner rein intellektuellen Fähigkeiten Respekt in Form von Hutlüftungen gezollt, sondern aus dem handfesten Grund, weil es nur zwei Ärzte im Dorf gegeben hat und man höchstwahrscheinlich einmal auf seine Dienste angewiesen gewesen sein könnte. Und da kommt plötzlich die Urbanisierung und mit ihm die Unverbindlichkeiten, die Wahlfreiheiten des Kapitalismus. Es ist schon ein Kreuz mit dieser Demokratie, wenn auch noch Eigenverantwortung mit dazu kommt.

    Frau Berg hat recht, der Intellektuelle ist derzeit nicht gerade wohl gelitten. Er ist es (mit Ausnahmen) allerdings nie wirklich gewesen. Zwar haben mittelalterliche Könige und Kaiser die schriftgelehrten Mönche hofiert, dabei doch nie ihren eigenen herrschsüchtigen Vorteil in einer analphabetisierten Welt aus den Augen gelassen. Das leibeigene Volk hat die auf Latein gelesenen Messen sowieso nicht verstanden und derweil ganz andere Probleme gehabt.

    Mit dem nachzeitigen Buchdruck als vorherrschendem Medium ist es ein Leichtes gewesen, sich in die eigene Talartasche zu lügen und die Bedeutung von Geistengrößen in der Rückschau als übergroß darzustellen. Objects in rear mirror are closer than they appear. In Zeiten des Internets wird es sicher schwerer werden, die - positiv gewendet: - die Spreu vom Weizen zu trennen. Und es bedarf seitens der Gelehrten sicherlich einer im Vergleich zum klösterlichen Scriptorium gesteigerten Selbstdiziplin, nicht der allüberall lauernden Prokrastination anheimzufallen. Aber mit einer geeigneten Herangehensweise hat Serendipity auch seine Vorteile.

    Seltsam nur, daß jetzt auf einmal Leute mit genau so einer “Führer war alles besser”-Denke die Filterblindheit des personalisierten Internets als Spiegelkabinett anprangern. Und das dann auch noch zum Untergang des Abendlandes aufspielen. Als ob es die letzte Schlacht zu schlagen gilt.

    Perück/wärtsgang

    Gentrification Battlefield // Per Rückwärtsgang navigieren. Etwas durch den Spiegel in Auge behalten. Aufpassen, daß Scheuklappern nicht zum Handwerk wird. Ich habe da mal ein paar Fragen beantwortet. (Das Tagesschau-Archiv ist wieder online, wenn auch natürlich nicht ganz legal.)

    Naja. Was @Lykke_Li selbst von Ihrem Kurzfilmauftritt bei Moses Berkson hält, kann auf ihrem Blog nachgelesen werden. Die Musik stammt, klar, auch von ihr.

    verpflockt

    Hinterher, also hinken. Die anderen. Ich bin nur ein unverbesserliches Kind, daß weder den Schirrmacher auf spiegel.de/ gelesen hat, noch dieses scheinbar darauf (bzw. das Buch, also Payback, das ich nochnoch viel weniger lesen werde) antwortende Interview mit Peter Kruse auf sueddeutsche.de/. Doch weil man am Ende ja doch meint, dochdochdoch, genau meint, zu allem eine Meinung zu haben, habe ich die Fakten also mal grobdreist übersprungen, um mich zweidrei Tage später wenn es niemanden mehr interessiert mit etwas Abundanstand und aus Faulheit noch einem Wochenende später der Angelegenheit noch doch zu widmen.

    Und was ist dabei herausgekommen? Daß mir Schirrmachers Rückzahlung nicht liegen wird, ist wohl keine Meldung wert, aber solange spiegel.de/ selbst so einen Widerspruch hinbekommt, während das in der Blogosphäre stellvertretend so aussieht, solange ist “long way to go” eine herbe Übertreibung. Tribe, genau. Stammeszugehörigkeit, Abgrenzungswasauchimmer. Was für ein Zauber entfaltet da eigentlich seine Wirkung, wenn man dreimal “Totholz” in den Webwald gerufen hat?

    Lasst uns andererseits über Solidarität reden, große Verwirrung, Macht. Und auch, wenn man SpOn sicherlich nicht für den letzten Weisheitsschluß hält, Bezahlinhalte sind es noch viel weniger. Don Alphonso ist - zumindest in seiner hausrechtseigenen Blogbar - nicht gerade für seine spitze Feder bekannt; ohne seine holzhammerhaften Rundumschläge wäre es ihm auch kaum möglich, immer wieder den Nagel auf den Kopf zu treffen. Who cares?

    Da kann der zoomer-Wickert mal die Klappe halten, dafür gibt es woanders einen besseren Platz. Wo “locations” doch der missing link between social networks and the real world sind. Ich jedenfalls würde gerne da (als Tipp für die Berliner) hin.

    Alteisen

    Karte für die re:publica ‘10

    gekauft

    zwischen allen Netzen

    Dem spiegel.de/ ist dann auch mal aufgefallen, daß jemand anderem aufgefallen ist, daß Internetdienst nicht gleich Internetdienst ist und es Unterschiede sowohl zwischen den als auch zwischen deren gibt. Respekt, hätte ich mir auch mit etwas Denkschmalz selbst zusammenreimen können. Aber ein “Klassenkampf” in der Headline und der Klickhase läuft. (Hier Selbstbeschimpfung einfügen, warum ich denn auf den dämlichen Artikel verlinke.) Nochmal spiegel.de/ - ebenfalls zwei Tage alt, aber dafür ein bißchen interessanter. Einzuordnen in die Kategorie: Ich halte mich mal aus dem Vodafone‘schen Debatierdschungel um Zensursula, Datentarife und Authentizität 2.0 heraus, trage dafür aber trotzdem zum Metadiskurs bei. Und meine Meinung zu dem ganzen Thema läßt sich auch so ausrechnen.

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    Ein seltener Gastbeitrag auf stylespion.de/ - Kai hat Nicolas Arnold zu Wort kommen lassen und das Ergebnis ist äußerst lesenswert. (Okay, die dort beschriebene Phase habe ich seit vier Jahren hinter mir. Und daß ich erst vor ein paar Monaten mit dem Bloggen angefangen und deshalb auch neben dem Internet ein Richtiges Leben habe, finde ich ungeheuer erwachsen. Und nur manchmal langweilig.)

    Neu am Start: Design Magazin.

    Titelarbeit

    Wegen der Titelgeschichte “Falsche Freunde” habe ich mir seit Ewigkeiten mal wieder den PapierSpiegel gekauft. Und wenn vieles stimmt, was da über den Boom und die Nutzung sozialer Internetzwerke drinsteht, muß ich doch auch Thomas Knüwer mit seiner Sicht der Dinge nahezu uneingeschränkt recht geben. Jaja, die bösen Buben im Internet. Da könnte man auch allen Leuten raten, nie mehr die Wohnungstür zu öffnen, weil ein paar alte Menschen mal auf hausierende Trickbetrüger hereingefallen sind.

    Ums Dissen geht es Rebecca Casati auf sueddeutsche.de/ nicht, wenn sie über deutsche Werber und ihr Bild im Wandel der Jahrzehnte schreibt. Guter Text, aber was soll ich dazu sagen?, bin ich doch eher zufällig in dieser Branche gelandet. Aber wenn ich mir die Meldungen von der CeBit-Krise zu durchlese, dann mache ich mir keine besondere Angst, in der Werbung nicht alt werden zu können.